Samstag, 10. Juni 2023

Heut ist der Sommer

Schluss, aus, Ende - die Straße ist verbarrikadiert. Aber das passt mir gut in den Kram. Ein kleiner geschotterter Ausweichplatz direkt am Ende lädt für die Nacht ein. Neben mir geht es steil hinunter zum Fjord, auf der anderen Straßenseite rauscht das Wasser über die schräge Felswand. Ein schöner Platz mit dem großen Vorteil, dass es keinen Durchgangsverkehr oder nächtliche Zuwanderer gibt. Die Sonne ist hinterm Berg verschwunden und so wird es jetzt wieder kühl. Daher verziehe ich mich ins Zelt und schreibe dort meine Geschichte.

Die Nacht am Fährhafen war ruhig und ich habe gut geschlafen. Keine Lust auf Frühstück, aber eine Tasse Tee mache ich mir doch schnell warm, bevor es gegen 9 Uhr los geht. Die angenehmen 15 Grad werden sich im Lauf des Tages auf 23 Grad hochschrauben, also einfach tolles Reisewetter. Der Verkehr hält sich in Grenzen, die Wohnmobilisten sammeln sich zum Beispiel auf einem großen Parkplatz vor einer Felswand. Direkt neben der Straße - und der Blick zum Meer ist durch Bäume versperrt. Da sitzen sie in ihren Klappstühlen und lassen sich von der Sonne rot grillen.
Um halb elf halten wir an einem kleinen Aussichtsplatz mit Tischen und Bänken an. Das ist vielleicht ein toller Ausblick hier! Besonders, wenn man noch ein paar Meter an der Kante entlang spaziert. In der warmen Sonne gibt es jetzt auch ein kleines Frühstück. Ein älteres Paar spricht mich auf englisch an - natürlich muss ich auf norwegisch antworten! Muss doch zeigen, was ich gelernt habe. Die Frau lobt meine "akzentfreie" Aussprache. Da muss ich lachen! Ich würde das mal so übersetzen: für einen Ausländer kann man sich ganz ordentlich mit Dir unterhalten.

Eine kurze Strecke später ist "Fähre" angesagt. Die scheint aber vor ca. 1/4 h abgelegt zu haben und die nächste geht erst in 3 Stunden! Egal, dann warten wir halt - darin haben wir ja Übung. Außerdem ist es ein schönes Plätzchen und die Sonne wärmt wunderbar. An der Tanke gönne ich mir vor Langeweile eine gesunde Wurst mit Pommes und ein Eis zum Nachtisch. Die Zeit will einfach nicht vergehen! Vielleicht sollte ich es doch den 3 Gold Wing Fahrern nachmachen? Die 3 älteren Herren sind mit glänzenden Straßenschiffen unterwegs und haben jeweils einen in Motorradfarbe lackierten Anhänger dabei. Aber nein - die zelten nicht! Da sei überwiegend Bier drin... Nach langem hin- und her-überlegen, drehe ich ebenfalls um und nehme die Strecke über Mo i Rana. Warum ich mich so lange gesträubt habe? Was ich dagegen habe, wieder ein ganzes Stück zurückzufahren? Ich denke mal, eine ganze Menge Vorurteile:
  • Man fährt nicht die gleiche Strecke zurück!
  • Die E6 ist fade und langweilig.
  • Auf der E6 ist viel zu viel Verkehr und man kann praktisch nicht überholen.
  • Mo i Rana ist eine dreckige Stadt.
  • Da muss ich ja durch Städte fahren.
Aber so schlimm wird es ja gar nicht! Die "gleiche" Strecke zurück ist eine ganz andere. Ausblick und Kurven sind in der anderen Richtung was völlig Neues. Mo i Rana ist quasi nur ein Dorf und mein Navi leitet mich schön durch die Außenbezirke. Am Samstag Mittag scheint kein LKW-Verkehr unterwegs zu sein und die Wohnmobile ziehen wohl die Küstenstraße vor. Und last but not least findet mein Navi einige Ausweichmöglichkeiten oder Parallelsträßchen. Statt eines sehr langen Tunnels, dürfen wir ein herrlich kurviges Sträßchen übers Gebirge fahren. Alles in Allem eine gute Entscheidung!

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Hauptstraßen und "Sträßchen"? Ich würde es mal folgendermaßen definieren: auf der Hauptstraße rollt man an der Landschaft vorbei und muss achtgeben, nicht zu schnell zu werden. Auf den "Sträßchen" sucht sich die Lisl ihre Spur IN der Landschaft, während ich die Düfte aufsaugen darf. Hier muss man aufpassen, daß man nicht zu langsam wird.

Bei einer weiteren Sonnenpause an einer Tankstelle herrscht reger Motorradverkehr. Das Wetter lockt alle aus der Garage. Aber wenn sich die Gestalten entblättern, tauchen fast ausschließlich grauhaarige ältere Herren auf! Wo bleibt die Jugend???

Ui, das war so nicht geplant! Der Preis für "neben der Hauptstraße fahren" ist eine Schotterstrecke. Ich sehe es aber eher als Übung an, auch wenn die teilweise sehr tiefen Schlaglöcher unseren alten Fahrgestellen sicher nicht besonders gut tun. Man muss sich ja ein bisschen herausfordern. Dafür weiden auf der Hochebene 2 Elchfamilien (6 Tiere) auf einer saftigen Wiese und lassen sich von uns nicht stören. Einen weiteren Elch bekomme ich etwas später noch zu sehen. 
Ein Stück müssen wir nun wieder die E6 entlang fahren, dann zweigt unser Weg nach Westen wieder Richtung Küste ab. Die gute Straße ist fast überhaupt nicht befahren und schwingt sich kurvenreich in langen Bögen langsam über eine Bergkette. Der Bergsee auf 450 m Höhe ist noch gut zugefroren, aber der folgende Tunnel bringt uns rasch wieder auf Meereshöhe hinunter. Zeit, einen Schlafplatz zu suchen. Ausblick: für morgen Nachmittag ist wieder Regen angesagt....







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